Die Würde des Vaters ist antastbar – was die Coronakrise über Geburtshilfe verrät

Coronakrise Werdende Eltern könnten ab dieser Woche wieder bummeln gehen, bangen aber oft seit Wochen darum, ob sie die Geburt ihres Kindes gemeinsam erleben dürfen. Die Coronakrise macht deutlich, wie es um den gesellschaftlichen Wert einer Geburt in unserem Land steht.

„Du schaffst das.“ Ein Satz, den jede Frau während einer Schwangerschaft mindestens einmal zu hören bekommt. Doch darum geht es den Frauen überhaupt nicht. Sie wollen es überhaupt nicht allein schaffen. Es, die Geburt – die Ankunft ihres Kindes, das Mamawerden, das Papawerden.
Dass sie es in vergangenen Tagen dennoch bereits mussten, in vereinzelten Kliniken noch müssen, dass sie überhaupt mit der Befürchtung konfrontiert wurden, ist auf ein Versäumen einer rechtzeitigen, verbindlichen und einheitlichen Regelung seitens der Politik zurückzuführen. Dass diese aber zu genau solchen Entschlüssen in der Lage wäre, stellt die Bundesregierung derzeit außer Frage.

Umso verehrender ist es, dass sämtliche Empfehlungen seitens der WHO, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe oder des Deutschen Hebammenverbandes nicht den Alleingang einzelner Kliniken aufhalten konnten. Denn wichtiger als ein mutmachendes, beschwichtigendes „Du schaffst das.“ wäre die Gewissheit: „Du musst es nicht allein schaffen.“ Denn auch wenn die Kraft, ein Kind aus eigenen Stücken auf die Welt zu bringen, in jeder Frau liegt, so fällt es vielen Schwangeren gerade in diesen Krisenzeiten und bei der Flut an neuen Meldungen und Vermutungen schwer, sich auf dieses Urvertrauen, diese Selbstbestimmung einzulassen. Dabei ist das Gefühl von Sicherheit einer der entscheidenden Faktoren, um eine „sichere Geburt“ zu erleben.

Die werdenden Mamas wissen, ein fehlender Vater während der Geburt ist für sie keine Garantie auf eine Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Hebamme. Was vor dem Ausnahmezustand nicht möglich gewesen ist, kann schon gar nicht vom Personal, das am Anschlag läuft, gestemmt werden. Geburten passen sich auch keinen Schichtplänen und schon gar keinen Zwei-Stunden-Besuchsregelungen an – haben sie noch nie. Und Geburt beginnt vor allem nicht erst in dem Moment, in dem die Presswehen einsetzen.

Was ist Würde?

Ruderten zwar einige Kliniken mit ihren Kreißsaalverboten innerhalb teils weniger Tage aufgrund heftigen Widerspruchs zurück, so gibt es immer noch Geburtsstationen, die Vätern oder anderen Vertrauenspersonen den Zutritt selbst während einer Geburt verwehren. Jede einzelne Klinik war und ist eine zu viel, vor allem jetzt, wo die Infektionsraten ein Aufatmen zu- und die Politik Auflockerungen veranlassen. Jedes Bangen eine Stresssituation für die werdende Mutter und ihr Neugeborenes zu viel.

In einem Zeitalter, in dem moderne Vaterschaft, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Aufbrechen von Rollenbildern von der Familienpolitik vermeintlich befürwortet wird, zeigt eine Pandemie auf: Die Würde des Vaters ist antastbar. Die Würde der werdenden Mutter ist antastbar. Die Würde eines Neugeborenen ist antastbar. Die Würde der Familie ist antastbar. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt den Artikel eins des Grundgesetzes wie folgt: „Artikel eins schützt den Menschen in seiner Würde. Würde bedeutet: Alle Menschen haben einen Wert.“ Weiter wird sich auf eine Erklärung des Philosophen Immanuel Kant berufen: „Menschenwürde: Dinge sind wertvoll, wenn wir sie brauchen. (…) Wenn etwas immer einen Wert hat, sagt man: Es hat eine Würde. Jeder Mensch ist deshalb wertvoll, weil er ein Mensch ist. (…) Alle Menschen sind gleich wertvoll.“ Ein werdender Vater im Kreißsaal ist wertvoll. Für seine Frau. Für die Hebamme, die noch andere Frauen betreuen muss. Für sein Neugeborenes, das er willkommen heißen und sofort eine Bindung aufbauen kann. Er ist wertvoll in der Geschichte, in der alles gut geht und er ist wertvoll in der Geburtsgeschichte, in der nicht alles läuft wie geplant. Er ist wertvoll.

Im Duden wird zuweilen als Beispiel des Wertes und seiner Bedeutung die Würde einer Patientin, die geachtet werden muss, aufgeführt. Dass Gebärende in einem Kreißsaal Patientinnen sind, mögen 40 Wochen noch so bilderbuchgleich verlaufen sein, wird in diesen Wochen deutlich.

Viel mehr als ein persönliches Interesse

Anfang April stellt das Verwaltungsgericht Leipzig das Hausrecht des Universitätsklinikums über den ersten Artikel des Grundgesetzes. Ein ordnungsgemäßer Dienstbetrieb wird dem persönlichen Interesse eines werdenden Vaters übergeordnet. Zieht man nur die Zahl der Lebendgeborenen in Deutschland im Jahr 2018 des deutschen Bundesamtes für Statistik zu einer Rechnung heran, werden über 2000 Kinder pro Tag geboren. Es gilt also zu erkennen, dass ein Geburtsereignis nicht nur als persönliches Interesse gewertet werden darf. Wie Familie, wie Leben beginnt, welcher Bedeutung wir Werten wie Bindung und mentaler Gesundheit von Müttern und auch Vätern nach der Geburt beimessen – vollkommen unabhängig von jeder Krise – ist existenziell.

„Wie wir auf die Welt kommen, ist von großer Bedeutung.“ So beginnt Ina May Gaskin, betitelt als bekannteste Hebamme der Welt und Trägerin des Alternativen Nobelpreises, ihr erstes Kapitel in „Birth Matters – die Kraft der Geburt“. Gaskin schreibt weiter: „Daraus folgt, dass die Art, wie Geburtshilfe organisiert und durchgeführt wird, große Auswirkungen auf jede menschliche Gesellschaft hat.“ Gerade einmal etwa zwei Prozent aller Kinder werden in Deutschland laut Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe nicht im Kreißsaal geboren. Und selbst wenn einige Eltern jetzt ungeplant doch über eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus nachdenken, so wird ihnen deutlich, dass sie auf diesem Weg oft keine Hebamme finden werden, die eine Hausgeburt betreut oder zumindest noch nicht voll ausgelastet ist. Das Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes gibt es zwar, die Entscheidungsfreiheit der Familien ist jedoch aufgrund der Rahmenbedingungen und schließenden Geburtsstationen immer gravierender eingeschränkt.

In Bonn konnte das Kreißsaalverbot gekippt werden, in Rostock, die Kliniken in Lichtenfels und Coburg haben innerhalb eines Tages Väter bereits wieder zugelassen, und auch in Leipzig konnte heftiger Protest die Leitung dazu bewegen, ihre Entscheidung zurückzunehmen. Kleine Erfolge. Doch jetzt, wo es Erleichterungen der Ausgangsbeschränkungen vor allem im Wirtschaftssektor gibt, die Zahlen sich nach und nach entspannen, spätestens jetzt ist es an der Zeit für eine Aufhebung der Zutrittsverbote für Väter. Nicht nur während der Geburt, sondern auch auf der Wochenbettstation.

Das Gesundheitssystem schützen – ja, so gut es geht und so sehr es sein musste. Aber jetzt, in Zeiten des Aufatmens droht die Politik in dem verzweifelten Kampf gegen das Virus an Entschlüssen zu scheitern, die nicht die Wirtschaftlichkeit des Landes sondern die emotionale Gesundheit der Bürger im Blick behält. Ein werdender Vater in einem Kreißsaal ist kein Besucher, er ist Teil dieser Geschichte. Und eine Geburt ist der Beginn von so viel mehr als geboren sein.

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